Diagnose und Behandlung

Ich erinnere mich, dass ich mich erleichtert fühlte, als mein Hausarzt mir sagte, er vermute bei mir eine Depression. Er überwies mich zu einem Psychotherapeuten.
Endlich war klar, was mit mir los war. Endlich eine Erklärung für die Müdigkeit, die Niedergeschlagenheit, die Lustlosigkeit. Körperlich war nichts zu finden.
Also ging ich zum Therapeuten. Es war zunächst angenehem, mit jemandem zu sprechen. Mit jemandem, der zu verstehen schien, was mit mir los war. Jemand, der mir die Hoffnung gab, etwas für mich tun zu können. Und tatsächlich schienen die Sitzungen zunächst zu helfen. Ich redete mir manche Sorgen von der Seele und hatte auch einige Einsichten, was die Gründe für meinen Zustand betraf.
Aber je länger die „Therapie“ dauerte, desto weniger Sinn hatte sie für mich. Woche für Woche ging ich zum Therapeuten (den ich nie als „meinen Therapeuten“ ansah) und überlegte jedes Mal, was ich diesmal erzählen sollte. Und jedes Mal fiel mir weniger ein – zumindest nichts, was mir erzählenswert erschien.
Und zugleich wollte ich auch immer weniger erzählen. Ich hatte das Gefühl, immer etwas neues, überraschendes, tiefsinniges oder unterhaltendes liefern zu müssen. Reines Leistungsdenken.
Und immer weniger hatte ich den Eindruck, dass es immer weniger voran ging, dass der Therapeut ein Interesse daran hatte, was ich sagte oder dachte. Und er lieferte auch keine Hilfen oder Anleitungen mehr, wie ich meinen Zustand verbessern könnte.
Irgendwann ging ich nicht mehr hin. Ohne mich abzumelden. Er hat aber auch nie nachgefragt, was mit mir sei.

Und dann waren da die Psychopharmaka. Natürlich bekam ich auch diese. Verschrieben von meinem Hausarzt. Der Therapeut durfte das nicht, was vermutlich auch besser war.
Ich will nicht behaupten, dass die Mittel nicht halfen. Ich fühlte mich objektiv geseen tatsächlich besser. Meine Grundstimmung war positiver, entspannter. Das erste Mittel machte mich gleichzeitig aber auch müde. Außerdem nahm ich zu – mehr als gesund sein konnte.
Also ging ich wieder zum Arzt, der mir ein anderes Mittel verschrieb. Ich war wieder wacher und nahm nicht mehr zu – zumindest nicht mehr so sehr. Aber das waren nicht alle Nebenwirkungen. Meine Lust auf Sex ging gegen Null, wurde noch geringer als sie ohnehin schon war. Aber die Fähigkeit dazu hatte ich ohnehin schon verloren – es ging nichts mehr.
Viel schlimmer waren aber die Veränderungen in meiner Persönlichkeit, in meinem Verhalten. Ich wurde ungeduldig, streitlustig. Ich schrie Leute an, die mich auf der Straße aus Versehen anrempelten. Ich hatte Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren. Meine Gedanken sprangen ziellos und unkontrolliert von einem Thema zum nächsten. Mir wurde es erst bewusst, als meine Frau und Freunde mich darauf aufmerksam machten.
Mein Arzt riet mir davon ab, das Mittel abzusetzen. Ich tat es dennoch – gegen seinen Rat und ohne seine Kontrolle. Natürlich habe ich zuerst reduziert. Irgendwann war es dann aber zu Ende.
Acht Wochen litt ich unter Schwindelgefühlen, Schweißausbrüchen, Übelkeit und – vor allem Abends – an Sehstörungen. Aber die Beschwerden ließen nach und verschwanden schließlich ganz.
Und zum Glück kam auch die Depression nicht zurück. Nun gut, zumindest nicht so heftig, wie sie zuvor war. Und inzwischen schreibe ich mir den Druck aus dem Kopf. Wenn die Niedergeschlagenheit zurück kommt schreibe ich auf, was mich quält. Ich schreibe den Stress auf und die Traurigkeit. Alles, was mich runter zieht und belastet. Meine Probleme und Ängste, meinen Ärger und den Hass. Und wenn ich es aufgeschrieben habe, kann ich es vergessen. es ist noch da, aber es ist jetzt auf dem Papier. Ich kann es weglegen und muss nicht mehr daran denken.
Ich bin wieder ruhiger geworden, habe abgenommen und stehe dem Leben wieder positiver gegenüber. Auch und vor allem wegen meiner Frau, die immer zu mir gehalten und mich unterstützt hat. Auch wenn ich wieder einmal nicht aufstehen konnte, wenn ich nur heulen konnte oder schreiend und schimpfend durch die Gegend gelaufen bin.
Den Tipp mit dem Schreiben hat mir übrigens niemand gegeben – kein Arzt, kein Therapeut. Darauf musste ich erst selbst kommen.